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ENSEMBLE 2015/1 —– Dossier
terhalt der Kirchen, die Gewährleistung der Got-
tesdienste und die Besoldung der Geistlichen. Je
nach Region waren das erhebliche Summen.
«Wunsch der Geistlichkeit»
Ab 1803 machte es sich der Kirchenrat zur Aufga-
be, das Kirchensystem zu reformieren. Seine Über-
legungen veranlassten ihn schliesslich dazu, ein
Projekt für die Harmonisierung der Besoldung für
Kirchenämter in die Wege zu leiten. Dieses bilde-
te die Grundlage für die Ausarbeitung des Dekrets
vom 7. Mai 1804, mit dem die Kirchen ihre Güter
zugunsten einer Besoldung der Geistlichen und
den Unterhalt ihrer Gebäude abtreten. Der erste
Artikel des Dekrets «Besoldung und Wahlen der
Geistlichkeit» hält Folgendes fest: «Der Staat über-
nimmt nach dem Wunsch der Geistlichkeit die
Beziehung und Verwaltung aller derselben zuge-
hörenden urbarisirten Einkünfte.» Den Pfarrern
jener Zeit stand somit die jährliche Summe von
275 000 Livres zur Verfügung, zu denen noch die
Nutzung der Pfarreigebäude und ein Betrag für
die Heizkosten hinzukamen. Zum Vergleich: Ein
Livre entsprach 10 Batzen, für 3 Batzen konnte
man ein Kilo Weissbrot kaufen. Die Berner Pfarrer
verfügten also über ein komfortables Einkommen.
Der Staat nahm zudem Einfluss auf die Wahl in
die Kirchenämter, indem er bestimmte Klauseln
einführte. Darunter war beispielsweise die Vor-
schrift, dass nur Kandidaten für die Wahl als Pfar-
rer zugelassen waren, die mindestens fünf Jahre
im Kirchendienst waren. Als besonderes Zücker-
chen trat die Besoldung für die Kirchenämter rück-
wirkend auf den 1. Januar 1804 in Kraft.
Eine ungenaue Buchhaltung
Während fast dreissig Jahren wurden die an den
Staat abgetretenen Kirchengüter nicht systematisch
inventarisiert. Sie trugen zur Finanzierung des Kan-
tons Bern bei, ohne in einer Buchhaltung gesondert
festgehalten zu werden. Als sich die politischen
Verhältnisse zu Ungunsten Frankreichs verschoben,
befreite sich die Schweiz von ihrem Joch. 1815 wur-
den die heutigen Grenzen der Schweiz im Rahmen
des Wiener Kongresses gezogen. Der Kanton Bern
erhielt jenen Teil des ehemaligen Gebiets des Fürst-
bischoftums Basel als Entschädigung zugesprochen,
der als «Berner Jura» bezeichnet wurde. In verschie-
denen Verträgen, insbesondere in der Vereinigungs-
urkunde von 1815, verpflichtete sich der Kanton
Bern, weitere Geistliche entsprechend dem Dekret
von 1804 zu besolden.
In der Schweiz traten aber trotzdem erneut
Spannungen auf. Einerseits verabschiedete die
Aristokratie, welche die Zügel wieder in die Hand
genommen hatte, einen Bundesvertrag, der erneut
auf einen Bundesstaat auf der Grundlage schwa-
cher Stände abzielte. Auf der anderen Seite kämpf-
ten progressive Kräfte für die Wiedereinsetzung
abgeschaffter Freiheiten. 1831, also gegen Ende
der als «Restauration» bekannten Epoche, wurde
beschlossen, sämtliche dem Staat auf der Basis des
Dekrets vom 7. Mai 1804 abgetretenen Kirchengü-
ter zu inventarisieren. Es erwies sich allerdings als
schwierig, eine detaillierte Liste sämtlicher Kir-
chengüter zu erstellen. Denn diese waren verkauft
oder als Staatseinnahmen deklariert worden. Das
Inventar erlaubte es aber, wenigstens einen Teil
der Güter zu erfassen und für den Rest der abge-
tretenen Güter einen Pauschalbetrag festzusetzen.
Während der sogenannten Regenerations
phase der 1830er-Jahre wurde die Diskussion um
die Kirchengüter von einer weiteren Polemik er-
fasst. Grund war die Abschaffung der Patronats-
rechte durch den Kanton im Jahr 1839. Auch wenn
die Diskussion die Verwaltung der Kirchengüter
durch den Staat betraf, so war es immer noch das
Dekret von 1804, das weiterhin als Referenz für die
Besoldung der Geistlichen beigezogen wurde.
Zwei Möglichkeiten
Heute ist der Kanton Bern verpflichtet, die Geist-
lichen zu besolden. Die Pfarreien haben ihre Güter
wegen des Dekrets von 1804 und wegen bestimm-
ter Abkommen wie etwa der Vereinigungsurkun-
de von 1815 verloren. Dem Kanton stehen aber
trotzdem zwei Möglichkeiten offen, die Besoldung
aufzuheben. Erstens durch Zurückgabe der über-
eigneten Kirchengüter und einer Entschädigung
für die verlorenen Güter. Die zweite Möglichkeit
ist die Kapitalisierung der gegenwärtigen Auszah-
lungen. Die erste Variante würde darin bestehen,
der Berner Kirche eine erhebliche Summe als Ent-
schädigung für die Kirchengüter zu überweisen.
Die zweite Variante würde bedeuten, der kanto-
nalen Kirche eine Gesamtlohnsumme zu überwei-
sen, die den gegenwärtigen Salären für die Kir-
chenämter entspricht. In beiden Fällen würde es
für den Kanton Bern sehr teuer.
Documentation:
la publication «Kirchengut und staatliche
Pfarrbesoldungen» (en allemand) datant de 1994 peut être
téléchargée sur le site
. Elle relate en détail
les divers accords passés entre l’Eglise et l’Etat et leur évolution.
D’autres rapports de fond peuvent également être consultés
sur le site Internet.
D
Dokumentation:
Die Publikation «Kirchengut und staat-
liche Pfarrbesoldungen» aus dem Jahr 1994 kann auf
der Seite
heruntergeladen werden. Sie gibt
detailliert Auskunft über die verschiedenen zwischen Kirche und
Staat abgeschlossenen Verträge und deren Entwicklung.
Auf der Website sind auch weitere Hintergrundberichte
abrufbar.